Die aktuellen Forschungsaktivitäten der ARGE Blautopf in der Blautopfhöhle

Im Reich der schönen Lau

Nachdem die mit der Bohrung in Stairway to Heaven verbundenen Aufgaben für die Arbeitsgemeinschaft Blautopf in 2010 erledigt waren, stand das Jahr 2011 ganz im Zeichen der Forschung. Durch den neuen, trockenen Zugang und die dadurch regelmäßigen Termine erhielten die Forschungsaktivitäten einen starken Impuls. Vor der Bohrung war ausschließlich ein taucherischer Zustieg in die Blauhöhle möglich und alle Expeditionen waren stark von Wetter, Schüttung und Unterwassersicht abhängig. Oft mussten geplante Forschungstermine abgesagt und Messreihen unterbrochen werden. Heute herrscht eine gegenteilige Situation: Forschungstouren und regelmäßige Messreihen sind von langer Hand planbar und können nahezu bei jeden Wetterbedingungen statt finden.

Auch der Gewinn an Sicherheit ist enorm. Mussten früher auch bei weniger günstigen Bedingungen Forschungstermine wahrgenommen werden um die Messreihen nicht zu unterbrechen, so sind wir heute sowohl vom Tauchen als auch von den Wetterbedingungen über Tage nahezu unabhängig. Gefährliche Passagen oder Schlüsselstellen sind mit Sicherungsmaterial entschärft, das durch den neuen Zustieg eingebracht werden kann.

Übersichtsplan Blauhöhlensystem, Hessenhauhöhle, SeligengrundhöhleEin Hauptaugenmerk der Forschungsaktivitäten liegt auf der Detail-Vermessung inklusive der Dokumentation der Speläotheme im Höhlenplan. Unter der Leitung von Herbert Jantschke wächst die vermessene Ganglänge rasch an und steht derzeit bei 8650 m Gesamtlänge im Blauhöhlensystem. Viele Details und Seitenäste kommen hinzu. Im Bereich Dolomiti und erster Versturz gelingen zwei Rundzüge, ebenso eine neue Verbindung von den „trockenen“ Bereichen zum Hauptgang der Tauchstrecke. Viele Speläotheme wie Wabenstrukturen, spezielle Sinterformen, verschiedenste Kalzitformen aber auch archäologische Funde wie Bisonknochen, menschlicher Oberarmknochen und zahlreiche Steinmarderskelette werden gefunden. Alle sind in zahlreichen separaten Publikationen veröffentlicht. Ebenso finden sich vielen herauskorrodierte Fossilien wie Schwämme, Korallen, Seeigel und deren Stacheln, Scherenkrebse, Belemniten, Brachiopoden, Kammaustern und Ammoniten.

Neu aufgenommen ins Forschungskonzept ist der Schwerpunkt Mineralogie. Erste überraschende Ergebnisse und spannende Forschungsansätze entstehen, wie zum Beispiel die grauen Sedimentproben aus dem Bereich der schwarzen Witwe.

Mit einem neuen Unterwasser-Datenlogger in 31 m Wassertiefe vor dem Bunker und einem weiteren in der Halle des verlorenen Flusses ist die Messstrecke von der Quelle bis zur Ur-Blau ausgestattet. Unter der Leitung von Dr. Jürgen Bohnert werden die meist nur tablettengroßen Datenlogger an allen wissenschaftlich interessanten Stellen installiert und liefern kontinuierliche Messdaten aus dem Wasser und den lufterfüllten Bereichen. Ein kombinierter Luft-Wasser-Fels-Logger stellt eine Besonderheit unter den Loggerprojekten dar.

Hydrologische Ereignisse wie Hochwasser können neuerdings nun direkt beobachtet und forscherisch bearbeitet werden, da bisher schon bei geringstem Hochwasser ein taucherischer Zustieg nie möglich war. Ganz neue paradoxe Effekte ergeben sich, zum Beispiel dass sich mit dem Eintrag von warmem Gewitterwasser die Wassertemperatur in der Höhle nachfolgend unter die Ausgangstemperatur vor dem Ereignis abkühlt.
Derzeit konzentrieren wir uns auch auf den Bereich bakterieller Wasserverunreinigung und auf Zuflüsse in die Blauhöhle um Aufschluss über die Verbindung zur Hessenhauhöhle zu bekommen. Zeitnah steht ein Färbungsversuch in Zusammenarbeit mit der Universität Karlsruhe an. Mittels natürlicher Färbung konnte in wenigen Stunden die hydrodynamische Verbindung vom Blaucanyon zur Halle des verlorenen Flusses nachgewiesen werden.

Die Neulandsuche von Andreas Kücha und Eckhard Hinderer bringt zahlreiche neue Ansätze und Fortsetzungen, wie zum Beispiel eine neue aktive Etage unterhalb der Apokalypse, die sich je nach Wasserstand als ein paar Gumpen, ein aktiver Bach oder gar eine reißende Strömung darstellt. Auf der Tour am 9. Juli erleben wir einen massiven Wassereinbruch in der Apokalypse. Aus mehreren bis zu 45 m hohen Schächten regnet es herab, als würde man mit Feuerwehrschläuchen spritzen. Nach der Tour erfahren wir in Blaubeuren, dass ein starkes Gewitter mit Hagel über der Höhle niederging.

In nahezu allen Gang-Passagen sind neue Entdeckungen gefunden, so zum Beispiel eine offene Fortsetzung im Blaucanyon und weitere Bereiche im Friedhof der Kuscheltiere. Dort gelingt zusätzlich an einem Schacht eine akustische Verbindung zum ca. 30 m tiefer liegenden Blaucanyon. Ein anderer Schacht zieht bis zu 50 m über Wasserniveau nach oben. Seitenäste bei Il Mulino und im Bereich des Merlin werden entdeckt und der Aufstieg am Schacht vor dem Versturz 2 gelingt. Trotz mehrerer Vorstöße bis zum derzeitigen Höhlenende am dritten Versturz, dort durchgeführten Tauchgängen und Grabungen blieb die Hauptfortsetzung bislang ergebnislos. Für die kommenden kalten Monate ist eine Bewetterungssondierung am dritten Versturz geplant. Das Biwak 3 am Höhlenende ist vorbereitet und in einer Nische im Mörikedom ist eine kleine Plattform als Basis für Vorstoßtauchgänge in den Stirnhöhlengang installiert. Auch im Bereich Mörikedom werden neue Gänge und Passagen entdeckt.

Eine weitere offene Fortsetzung ist der Niphargensiphon in der Halle des verlorenen Flusses. Der südwärts gerichtete Siphon setzt sich großräumig fort, ist meist klar und wird in 2012 mit größerem Tauchgerät weiter erforscht. Ein Tauchvorstoß von Jochen Malmann an einem Quellgumpen nahe des Otrivin endete an einer unpassierbaren Spalte. Nach einer langen Tour zusammen mit Oliver Schöll wird in der Nacht vom 2. auf 3. April die größte Überraschung des Jahres 2011 entdeckt. Es ist der Salle des Excentriques, ein großräumiger Gang der plötzlich mit tausenden der bislang sehr seltenen Excentriques und unvorstellbarer Schönheit aufwartet.

Im Salle des Excentriques

Als Doppelnutzen der Foto- und Filmdokumentation entstehen Vorträge, Kalender und Filme um dem öffentlichen Interesse nach Informationen gerecht zu werden. Einem Interesse, das auch im siebten Jahr nach dem Ausstieg aus dem Wasser und den damit verbundenen großen Entdeckungen bei den Blaubeurer Bürgern ungebrochen stark ist.

Parallel zu den Forschungsaktivitäten in der Blauhöhle durch die Arbeitsgemeinschaft Blautopf kommt 2011 auch das Schauhöhlenprojekt der Stadt Blaubeuren gut voran. Die Stadt macht wichtige Schritte auf dem Weg zur touristischen Erschließung eines kleinen Teils des Blauhöhlensystems im Bereich Mörikedom. Die Forscher der ARGE Blautopf begleiten die Aktivitäten der Stadt im Sinne des Höhlenschutzes und die Zusammenarbeit mit der Stadt Blaubeuren gestaltet sich sehr kooperativ.

Um alle Blauhöhlen-Interessierten an unseren Entdeckungen und dem Naturphänomen Blauhöhle teilhaben zu lassen werden die Vortragsreihen fortgesetzt und die Informationen auf www.blauhoehle.com fortlaufend aktualisiert.

Wir blicken auf ein erfolgreiches und wieder einmal unfallfreies Jahr zurück, bedanken uns bei allen die uns unterstützt haben, sei es ideell, durch ihren persönlichen Einsatz oder durch finanzielle Förderung wissenschaftlicher Projekte. Besonderer Dank gilt unseren Familien und der Stadt Blaubeuren.

Die Ziele für 2012 sind skizziert: Detailvermessung im Bereich Apokalypse und 1001 Nacht, Färbungsversuch, Fortsetzungssuche am 3.Versturz, Tauchvorstöße im Stirnhöhlengang sowie die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Universitäten und Instituten.

Autoren: Eckhard Hinderer und Andreas Kücha im Januar 2012

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