Die Bohrung in die Blautopfhöhle – Trockener Zustieg zum Mörikedom

Andreas Kücha & Eckhard Hinderer berichten:

(Veröffentlicht in: Laichinger Höhlenfreund, 45. Jahrgang, S. 7 – 10, 4 Abb.; Laichingen 2010)

Als in der ganz südlichen Ecke des Mörikedoms von der Wasseroberfläche aus ein Gangansatz in großer Höhe erkennbar wird, ist das Interesse am Neuland geweckt. Im Februar 2008 begleitet Salvatore Busche Andi Kücha bei einem Tauchgang, als dieser aus dem Wasser aussteigt und im Trockentauchanzug ohne Seilsicherung eine steile und glitschige Rampe 15 m empor steigt. Ein falscher Tritt würden im besten Fall Brüche bedeuten, an ein Zurücktauchen wäre nicht mehr zu denken. Der Aufstieg gelingt und es tut sich ein 270 m langer großer Tunnel auf, der den Namen „Stairway to Heaven“ erhält.

Als wäre die Entdeckung des Gangs Stairway to Heaven im Februar 2008 nicht schon Glück genug, legt der Zufall noch eins oben drauf. Die Verkettung aller Termine und Abläufe ergibt, dass Andi Kücha, Jochen Malmann und Michael Kühn an einem Freitagnachmittag um 16:30 Uhr, also pünktlich zur Rush Hour, am Endversturz des Stairway to Heaven Rast machen. Dabei hören Sie seltsame Geräusche, die es so tief unter Tage und so weit weg vom Eingang gar nicht geben dürfte. Doch die Geräusche kamen wieder und wieder und werden letztendlich als Motorbremsen von LKWs auf der Blaubeurer Steige identifiziert. Die drei folgern richtig, dass der Weg bis zur Oberfläche nicht allzu weit sein kann. Eine nachfolgende Peilung mit dem Sender des heutigen Höhlenvereins Blaubeuren bringt dann eine gewisse, jedoch keine absolute Sicherheit. Sicher ist jedoch, dass Ecke seine Wette verloren hat, denn als Andi mit dem Peilsender im Gepäck wieder im Blautopf auftaucht, kennt Ecke schon das Ergebnis der Oberflächenpeilung und löst seine Wettschulden gleich ein. Er taucht an Andis Dekoplatz und deponiert eine Tafel Ritter Sport Schokolade mit der Aufschrift, dass es nur 70 m sind. Der Abstand zum Knöpfchensinterschacht ist also deutlich geringer als angenommen.

Das Ergebnis der Peilung ergibt, dass der Gang unmittelbar an der Bundesstraße B 28 endet, jedoch mit großer Überdeckung. Nachfolgenden Berechnungen und Abschätzungen zufolge ca.16 +/- 1 m vom Straßenniveau aus gerechnet. Genauer kann die Tiefe nicht bestimmt werden, da die Decke im Stairway to Heaven sehr ungleichmäßig und die genaue Durchtrittsstelle des Bohrers unbekannt ist.

In den Monaten danach laufen in der ARGE Blautopf viele Aktivitäten rund um das Thema trockener Zugang. Eine Detailvermessung wird mit Ritchi und Sandrina gemacht, Schnittzeichnungen angefertigt, mögliche Bohrpunkte überlegt, Berechnungen angestrengt, Angebote von Bohrfirmen eingeholt, Finanzierungspläne aufgestellt und wieder und wieder überlegt, was die beste Variante für den Zustieg ist. Über die Monate steigt auch das Interesse der Stadt Blaubeuren an einem Erkundungszugang zum Mörikedom.

Im Herbst 2009 findet dann die erste Sondierungsbohrung im Auftrag der Stadt statt. Andi ist schon den dritten Bohrungstag vor Ort und als der Bohrer die Tiefe von 15 m erreicht und somit in die interessanten Bereiche kommt, steigt die Anspannung. Als bei 16 m noch kein Durchbruch erzielt ist, kommen Zweifel hinzu. Bei 16,50 m kommen die ersten Gedanken auf, wo der Fehler ist. Bei 17,20 m fährt das Bohrgestänge schlagartig in die Tiefe. Andi schaut Bohrgeräteführer Sandy fragend an, der schwingt die Arme zur Seite. Maschinenschaden? Dann grinst Sandy nichts sagend, hebt dann aber doch den Daumen! Geschafft yippie! Eine Kamera wird in das 10 cm breite Loch hinunter gelassen. Überall sehr massiver Fels und am Ende ein großer Hohlraum der nicht auszuleuchten ist. Die Sicherheit eines Treffers steigt auf 99%, doch Zweifel bleiben: es kann auch ein anderer Hohlraum sein. Das Interesse der Stadt Blaubeuren wächst weiter und sie möchte auch die Kosten einer großen Bohrung übernehmen, um einen Erkundungszugang herzustellen. Zahlreiche Gespräche im Vorfeld finden statt und es wird mit allen im Einzugsgebiet tätigen Gruppen ein Forschungskonzept erarbeitet. Die Stadt gibt der ARGE Blautopf als Entdeckergruppe entsprechend der Höhlenforschungsethik den Vortritt und beauftragt sie mit der Forschungskoordination für die von der ARGE Blautopf entdeckten Bereiche. Die ARGE Blautopf ist somit auch der Ansprechpartner während der Bohrung vor Ort. Auf Wunsch der Stadt Blaubeuren wird die Bohrung vom SWR, der lokalen Presse sowie der ARGE Blautopf film- und phototechnisch begleitet. Die Baustelleneinrichtung für ein 96-Tonnen-Bohrgerät beginnt und in der Nacht zum Samstag den 10. April steht bereits ein 28 m hohes Raupenfahrzeug vor Ort.

Am Montag den 12. April 2010 ist es dann soweit. Ein Spiralbohrer, der einem gigantischen Holzbohrer ähnelt, sowie eine auswechselbare Bohrkrone mit 1,20 m Durchmesser sind am Start. Nach den Aufbauarbeiten setzt das Bohrgerät Liebherr LB28 um 13.10 Uhr an und drückt den Bohrer mit grob 40 Tonnen Vorschub in den Fels. Geplant sind eineinhalb Bohrtage. Die Zeit für die ersten Meter soll uns Aufschluss darüber geben wann ungefähr am nächsten Tag mit dem Durchbruch zu rechnen ist, den wir filmisch vom Stairway to Heaven aus begleiten wollen. Die Tauchausrüstung, Kamera und das Team sind bereits am Start. Doch der gigantische „Holzbohrer“ macht seinem Namen Ehre und frisst sich in den Fels als ob er wirklich in Holz bohrt. Nach einer Stunde sind bereits über 6 m gebohrt. Unsere Träume von exklusiven Filmaufnahmen am nächsten Tag, wenn der Bohrer durch die Decke bricht, schwinden zunehmend. Nach genau drei Stunden durchstößt der Bohrkopf die Decke in 17,20 m Tiefe und beim Blick in die Bohrfahrerkabine sitzt plötzlich Andi an den Hebeln. Als Entdecker darf er zuerst in den Schacht absteigen und es wird nochmals ultraspannend. Sind wir wirklich im richtigen Hohlraum? Welch eine Blamage, wenn wir nicht getroffen haben. Andi erreicht den Schachtboden, jeder am Bohrloch ist absolut still. Dann kommt Andis Stimme klar und deutlich aus der Tiefe: „ So Freunde, und hier steh ich im Stairway to Heaven und da liegt auch mein Snickers!“ Ja, genau das Snickers, das er vor zwei Jahren bei seiner Rast dort unten deponiert hatte. Welch ein Jubel, was für ein Tag! Alle liegen sich in den Armen, die Anspannung ist weg und pure Freude bei allen Beteiligten. Die Bohrfirma Motz gibt noch einen aus und wir alle können abends nicht richtig einschlafen, denn das Erlebte war besser als jeder Krimi. Über zwei Jahre nach der Entdeckung und extrem vielen Arbeitsstunden wird einer der größten Träume, für einige von uns sogar DER größte Traum Wirklichkeit.

Tag 2 der Bohrung beginnt dann wieder mit Staunen. Ein Tieflader bringt ein 18 m langes Stahlrohr mit 1 m Durchmesser, 3,8 Tonnen Gewicht und mit eingebauter Leiter zum Einsatzort. Der Verkehr an der B 28 wird total gesperrt und die Schaulustigen werden aus Sicherheitsgründen auf die Ränge verwiesen. Auch Bürgermeister Seibold ist vor Ort als ein 50 Tonnen-Mobilkran das Rohr anhebt und im Bohrloch versenkt. Doch die letzten Meter will es nicht hinein gehen. Die Bohrung ist im unteren Teil schief. Liegt es am kurzfristig eingelernten Bohrfahrer der ARGE Blautopf? Nein, der Bohrer hat in diesem Bereich das alte Bohrloch der Sondierungsbohrung getroffen und bekam eine andere Zentrierung. Wie dem auch sei, die Jungs der Fa. Motz haben eine schnelle Lösung in der Tasche. Mit Schneidbrennern brechen sie ein Stück aus der Außenwand und das Rohr kann eingelassen werden. Den letzten halben Meter schlägt die Schaufel des Radladers das Rohr ein bis der Bund ebenerdig sitzt. Geschafft.

Am dritten Tag dichtet Olli das Rohr mit Stahlplatten und Bauschaum am unteren Ende ab, so dass der Füllbeton zwischen Bohrung und Rohr eingebracht werden kann. Es folgt eine Betonfassung und oben wird ein einbruchsicherer Deckel angebracht. Dann ist der neue, trockene Einstieg perfekt. Eine der ersten Befahrungen durch den neuen Schacht macht Bürgermeister Seibold und als er, begleitet vom SWR, oberhalb des Mörikedoms steht, ist er sichtlich gerührt. Ähnlich geht es allen anderen Mitgliedern der Arge Blautopf, die taucherisch den Mörikedom bisher nicht erreicht haben.

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